
An einem kalten Dezemberabend fliehe ich. Ich fliehe vor der weihnachtlichen Fratze der Mainzer Innenstadt. Doch ich bin in der Hölle gelandet: Dem Weihnachtsmarkt, der schon Markt war als Ralf noch Peterhanwar.
Da sind die Kinder. Feist, mit glänzenden Augen, tropfenden Nasen und in dicke Jacken verpackt starren sie mich an. Mit ihren gefüllten Backen, in ihrer dümmlich-verklärten Mimik ähneln sie Hamstern, deren Lebensinhalt es ist, gefüttert zu werden und im Käfigrad ihre Runden zu drehen. Der Käfig ist der Markt, ist die Gesellschaft; die weihnachtlichen Rituale, die stete Wiederholung, die demonstrative Glücklichkeit, das Streben nach Anerkennung sind das Rad. Das Rad des Lebens.
Da ist die Jugend. In kollektivem Glühweinrausch rühmt sie sich, regelmäßig alkoholischen Genüssen zu frönen, verkündet laut grunzend primitive Gossenprosa und hofft dabei, beim jeweils anderen Geschlecht zu punkten. Deutschlands Zukunft ertränkt sich in warmem, zimt- und nelkengeschwängertem Rebensaft auf der Suche nach ihrer Identität in einer Welt des Konsums, des Vergleichs, der Einsamkeit unter Menschen, der Hoffnung, immer einen Euro mehr in der Tasche zu haben als die vermeintlichen Freunde. Annäherung, Verbrüderung finden statt – auf niedrigem Niveau, man ist noch jung.
Da sind die Erwachsenen. Sie haben bereits kapituliert – bewusst oder nicht. Weihnachtszeit heißt für sie glücklich zu scheinen, heißt der Aufnahme von Essen und Getränk stets freudig Vorrang zu gewähren, sich von innen wärmen, wenn es draußen kalt ist, am Jahresende vor anderen das Resümee zu ziehen, dass es einem eigentlich schon ganz gut gehe, man recht erfolgreich sei und doch eigentlich alles richtig gemacht habe. „Ganz“, „recht“, „eigentlich“ - innen sieht es oft anders aus, doch wer will diese Tür noch aufsperren? Es gilt, den Freunden, Kollegen, Ehepartnern zu demonstrieren, dass es sich lohnt, zusammen zu sein, man ist es wert, man hat Geld und Geist, man ist besonders.
Ich schaue links: Würste schieben sich unter breite Oberlippenbärte, der Senf quillt hervor; ich schaue rechts: Glühwein wird gierig in lippenstiftumrandete Münder geschüttet, eine paar Schlücke gehen daneben, „uups ich bin ja schon beschwipst“; ich schaue nach vorne als ein junges Mädchen mit langem blonden Haar damit prahlt, erst gestern wieder total voll gewesen zu sein – mit Bier, heute ist es glühender Wein; ich schaue nach hinten und sehe ungeheure Menschenmassen, die sich durch schmale Gassen drängen, um dem Konsum Anheim zu fallen – die Bereitschaft ist uneingeschränkt, es ist Weihnachtszeit.
Da bin ich. Trotz all des Ekels, der mich überfällt, merke ich, dass ich ein Teil dieser Masse bin. Ich versuche mich zu sträuben, zu erkennen, zu analysieren, mich zu entziehen. Und doch schaffen es manche Gerüche, das Wasser in meinem Munde zum fließen zu bringen.
Ich bin ein Tier, ich bin ein Mensch.
Ich bleibe hart, jetzt schnell gehen: Ich treffe Freunde. Na, wie geht’s? Ja, doch recht gut. Kann eigentlich nicht klagen. Na, trinken wir zusammen nen Glühwein? Ach, nun ja…ok. Noch einen? Äääh, ja. Den Würsten dieser weihnachtlichen Welt kann ich mich dann trotzdem widersetzen, ich will noch in den Spiegel schauen können, ich habe Prinzipien, ich bin kein Herdentier, -mensch. Auf dem Heimweg kommen die Dönerbuden: Ich kehre ein, verabscheue mich selbst und beiße zu.
Frohe Weihnachten.
Kloppo der Gefiederte







