Dienstag, 26. Dezember 2006

Der menschliche Ekel – Versuch einer Gesellschaftskritik

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An einem kalten Dezemberabend fliehe ich. Ich fliehe vor der weihnachtlichen Fratze der Mainzer Innenstadt. Doch ich bin in der Hölle gelandet: Dem Weihnachtsmarkt, der schon Markt war als Ralf noch Peterhanwar.

Da sind die Kinder. Feist, mit glänzenden Augen, tropfenden Nasen und in dicke Jacken verpackt starren sie mich an. Mit ihren gefüllten Backen, in ihrer dümmlich-verklärten Mimik ähneln sie Hamstern, deren Lebensinhalt es ist, gefüttert zu werden und im Käfigrad ihre Runden zu drehen. Der Käfig ist der Markt, ist die Gesellschaft; die weihnachtlichen Rituale, die stete Wiederholung, die demonstrative Glücklichkeit, das Streben nach Anerkennung sind das Rad. Das Rad des Lebens.

Da ist die Jugend. In kollektivem Glühweinrausch rühmt sie sich, regelmäßig alkoholischen Genüssen zu frönen, verkündet laut grunzend primitive Gossenprosa und hofft dabei, beim jeweils anderen Geschlecht zu punkten. Deutschlands Zukunft ertränkt sich in warmem, zimt- und nelkengeschwängertem Rebensaft auf der Suche nach ihrer Identität in einer Welt des Konsums, des Vergleichs, der Einsamkeit unter Menschen, der Hoffnung, immer einen Euro mehr in der Tasche zu haben als die vermeintlichen Freunde. Annäherung, Verbrüderung finden statt – auf niedrigem Niveau, man ist noch jung.

Da sind die Erwachsenen. Sie haben bereits kapituliert – bewusst oder nicht. Weihnachtszeit heißt für sie glücklich zu scheinen, heißt der Aufnahme von Essen und Getränk stets freudig Vorrang zu gewähren, sich von innen wärmen, wenn es draußen kalt ist, am Jahresende vor anderen das Resümee zu ziehen, dass es einem eigentlich schon ganz gut gehe, man recht erfolgreich sei und doch eigentlich alles richtig gemacht habe. „Ganz“, „recht“, „eigentlich“ - innen sieht es oft anders aus, doch wer will diese Tür noch aufsperren? Es gilt, den Freunden, Kollegen, Ehepartnern zu demonstrieren, dass es sich lohnt, zusammen zu sein, man ist es wert, man hat Geld und Geist, man ist besonders.

Ich schaue links: Würste schieben sich unter breite Oberlippenbärte, der Senf quillt hervor; ich schaue rechts: Glühwein wird gierig in lippenstiftumrandete Münder geschüttet, eine paar Schlücke gehen daneben, „uups ich bin ja schon beschwipst“; ich schaue nach vorne als ein junges Mädchen mit langem blonden Haar damit prahlt, erst gestern wieder total voll gewesen zu sein – mit Bier, heute ist es glühender Wein; ich schaue nach hinten und sehe ungeheure Menschenmassen, die sich durch schmale Gassen drängen, um dem Konsum Anheim zu fallen – die Bereitschaft ist uneingeschränkt, es ist Weihnachtszeit.

Da bin ich. Trotz all des Ekels, der mich überfällt, merke ich, dass ich ein Teil dieser Masse bin. Ich versuche mich zu sträuben, zu erkennen, zu analysieren, mich zu entziehen. Und doch schaffen es manche Gerüche, das Wasser in meinem Munde zum fließen zu bringen.

Ich bin ein Tier, ich bin ein Mensch.

Ich bleibe hart, jetzt schnell gehen: Ich treffe Freunde. Na, wie geht’s? Ja, doch recht gut. Kann eigentlich nicht klagen. Na, trinken wir zusammen nen Glühwein? Ach, nun ja…ok. Noch einen? Äääh, ja. Den Würsten dieser weihnachtlichen Welt kann ich mich dann trotzdem widersetzen, ich will noch in den Spiegel schauen können, ich habe Prinzipien, ich bin kein Herdentier, -mensch. Auf dem Heimweg kommen die Dönerbuden: Ich kehre ein, verabscheue mich selbst und beiße zu.

Frohe Weihnachten.


Kloppo der Gefiederte

Das Bier in mir

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Eine Reminiszenz an zwei Dinge, die mich geprägt haben: Matthias Reim und edler Gerstensaft...


Ich zieh durch Mainzer Straßen bis nach Mitternacht
Der Suff, der hat mich angelacht, Milch brauch ich dafür nicht
Ich liege noch im Eisgrub vor mir ein Turm Bier
Ich war schon vor 4 Stunden hier – das macht mir, macht mir nichts

Gegenüber sitzt n’Typ wie’n Wolff
Ich stell mir vor, das wäre der Turbo-Rolf
Das juckt mich überhaupt nicht

Ich trink 10 Schlücke, krieche auf ihn zu
Und hauch ihn an: Rolfi bist es du?
Er sagt nur: Ich heiße Volker
Und ich trink dann doch lieber nur für mich


Verdammt, schon zahlen? Ich zahl jetzt nicht!
Verdammt, schon gehen? Ich geh jetzt nicht!
Verdammt, schon kotzen? Ich kotz jetzt nicht!
Ich will noch mal zwei Bier!


So langsam fällt mir alles wieder ein
Ich wollt nur schreiben & edle Feder sein, jetzt bin ich’s oder nicht

Askese passte nicht in meine Welt
Ich hab mir lieber Bier bestellt – ich glaub das einfach nicht!

Gegenüber liegt ein Magazin, ich nipp am Bier: das riecht nach Urin
Ich rülpse, schreibe aber nicht

Sieben Bier, zuviel geraucht, das ist es was ein Journalist so braucht
Doch ich höre, höre dann nicht auf
Und ich denke schon wieder nur an Bier!


Verdammt, schon zahlen? Ich zahl jetzt nicht!
Verdammt, schon gehen? Ich geh jetzt nicht!
Verdammt, schon kotzen? Ich kotz jetzt nicht!
Ich will noch mal zwei Bier! (3x wiederholen)


Kloppo der Gefiederte

Donnerstag, 7. Dezember 2006

Die Pulitzei warnt

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Im gesamten deutschen Sprachraum sind überflüssige Adjektive unterwegs. Wie ein Pulitzeisprecher am Mittwoch in Dudendorf mitteilte, wurde umgehend eine Rastafahndung eingeleitet. Die Gesuchten seien durchtrieben, hinterlistig, aalglatt und brutal – um nur einige zu nennen. Zur zeitnahen Erfassung der Flüchtigen setzt die Pulitzei mehrere Hundertschaften starker Verben ein.

Auf Betreiben des Ministeriums für Satzsicherheit wurden zudem an neuralgischen Punkten äußerst präzise Substantive platziert. „Damit sind wir in der Lage, Adjektive selbst drei Nebensätze weiter derart zu schwächen, dass sie dem nächstbesten Rotstift zum Opfer fallen oder vom Wolff gerissen werden“, sagte Ralf-Peter Cocktrue, Leiter des Sondersatzbaukommandos.

Dennoch ist völlig offen, ob jemals alle vermeintlichen Schädlinge zur Strecke gebracht werden können, da diese häufig ihren Aggregatzustand wechseln. Fest, gasförmig, flüssig, ja, manchmal sogar überflüssig – all das sind Adjektive. Hardliner monieren, sie brächten den Lesefluss gänzlich zum versiegen; Schöngeister dagegen glauben fest daran, dass Adjektive besagtem Fluss ständig neue Wendungen eröffnen und dahinplätschernde Manuskripte in mitreißende Pamphlete verwandeln können, da sie, aus der richtigen Feder geflossen, letztlich nur eines sind: edel.
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Federmichl

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Hin - und wieder zurück

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Edelfedern sind die Großen, die ganz Großen, die Götter im Journalistenolymp des Herrn. Die, die sich wochenlang durch Aktenberge von 12 Metern Höhe kämpfen, um gefälschte Ertragszahlen irgendwelcher Firmen zu enthüllen. Die, die selbst dann noch die alte Rechtschreibung benutzten, wenn sogar in Frankfurt niemand mehr weiß, dass dass mal daß geschrieben wurde. Die, die – am Scheideweg stehend – ihre Alternativen berechnen und nicht ihre Möglichkeiten.

Ihr seht: Edelfedern sind die Elite unter der Elite. Sie machen das, was wir hier auch machen – nur ganz offiziell. Und damit wir alle einmal auch genau diesen Punkt erreichen, studieren wir ja hier seit einigen Wochen. Und was haben wir in dieser Zeit gelernt? Dass Schreiben angeblich Askese ist und das bedeutet, dass ein guter Zeitungssatz aus Subjekt + Prädikat besteht – und an guten Tagen vielleicht auch noch ein Objekt Erfüllungsgehilfe spielen darf. So schreiben konnte man spätestens in der dritten Klasse, d.h. zehn weitere Jahre Schule waren vollkommen umsonst. Zum Glück gibt es ja einen stets aktuellen Böse-Worte-Index, der dafür sorgt, dass vokabulartechnisch gar nicht der Raum für mehr da ist.


Der bleibt allerdings für die Erkenntnis: Um eine Edelfeder zu werden, darf man auf gar keinen Fall eine sein! Trösten wir uns also damit, dass es ja erstens Seiten gibt wie diese hier, auf denen ich „ich“ schreiben darf, so oft ich will, auf denen es niemanden interessiert, ob der Ertrag einer Firma absinkt, den Höhenflug fortsetzt oder aber zumindest wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist und auf der es als schlechten Stil angesehen wird, wenn in einem Beitrag nicht mindestens ein Satz mehr als 100 Wörter enthält. Außerdem hat das Studium ja vielleicht doch erst begonnen und alles, was wir bis jetzt erleben durften, ist nur eins: Die Spitze des Eisbergs!

Die Reise des Als

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Ja guden Dach Brause hier am Apparat... klick.... tuutuut..

Als eines ruhigen Abends das Sommermärchen nur 37 mal 60 Sekunden entfernt schon über den Horizont der vierten Dimension lugte, machte sich ein einsamer Rheinhessischer Als-Satz auf, sich zu plustern und zu pudern, sich zu entsinnen, was Deutschlehrer ihm einst mit erhobenem Zeigefinger an Tugenden mit auf den Weg gegeben, abzuschütteln, was ihm jüngst an berufsethischen und sorgfaltspflichterfüllenden Merksätzen indoktriniert wurde; Monster, die sich ihm in Weg zu stellen versuchten, nicht wegzuredigieren und erst recht nicht weg zu redigieren, sondern mitzunehmen auf seine Reise, die erfüllt sein sollte von standhafter Standhaftigkeit, von druchtriebenen Durchhalteparolen, und pathetischem Pathos, so hetzte ein Komma das nächste, ein Punkt war nicht in Sicht, und Bastian Sick hätte, hätte er davon gewusst gehabt, in des Wollfens Klagelied herzzereißend mit eingestimmt.

Punkt, puh. Der Als-Satz gönnte sich ein Verschnaufspäuschen, der hektische Alltag umwuselte seine Oase der Ruhe. Punkt. Absatz. Information. Wichtig, neu und aktuell. Die Korrektheit dieser Welt suhlte sich in ihrer Rastlosigkeit und der Als-Satz merkte, dass er hier nicht hingehörte, die feindselige Atmosphäre machte ihn ganz betroffen, er verzehrte sich nach einem verschachtelten Nebensatz, an dessen Anfang, der ohne Szene und Schleppsatz schlapp daherkam, dem Leser, der immer älter wurde, nicht mit Lokalkolorit umsäuselte, ihm nicht die Ws – in ihrer Wichtigkeit ohnehin weit überschätzt – mit schlagbohrartiger Präzision einlötete, sondern der sanft entschlummerte in eine Dimension des Vergessens des Anfangs des Satzes dieser Geschichte.

Und als es soweit gekommen war, die Erkenntnis ihren Weg in des Als-Sätzchens Bewusstsein sich geschaufelt hatte, schnaufte der Als-Satz einmal tief durch, nahm sein Mobiltelefon und wählte die Nummer seines besten Freundes, dem guten alten Rasta, yo.

Dolch welch Graus, der hatte keine Zeit, die Tagesschau ging los.

Über Rastas, Bettnässer und die soziale Käthe

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Es gibt eine kleine Welt, in der all die Dinge, Personen, Kreaturen, Situationen und Begebenheiten, kurz: Entitäten, einen Platz finden, denen in der realen Welt sozusagen ein Missverständnis widerfahren ist. Diese Welt wird auch die „Parallelwelt der falsch verstandenen Worte und Sätze“ genannt. Sei es, dass diese Worte oder Sätze in der realen Welt bewusst falsch verstanden wurden, dass sie der schlechten Akustik des Raumes zum Opfer fielen, dass Personen sie bewusst oder unbewusst falsch aussprachen oder, dass sie einfach nur der Spinnerei eines dilettantischen Spaßmachers, eines intellektuellen Wortakrobaten oder eines unsicheren Dummschwätzers entsprangen, sie enden alle in der Parallelwelt der falsch verstandenen Worte und Sätze.

Dort erwachen die Entitäten zum Leben. Doch sie fristen nun ein ausgesprochen leidiges Dasein, denn sie versuchen, ihren eigentlichen Sinn, ihre eigentliche Identität, ihre eigentliche Bestimmung wiederzugewinnen, indem sie ihrer wahren Identität folgend, ihrem Ruf der realen Welt gerecht werden wollen, um in diese zurückkehren zu können.

An manchen Tagen, insbesondere dann, wenn wieder einer der Begriffe fällt, die doch einst der Grund der Erschaffung eines dieser leidvollen Geschöpfe waren, begebe ich mich in die Parallelwelt der falsch verstandenen Worte und Sätze.

Dort Treffe ich auf die soziale Käthe, die, ob ihres Namens, eine umgängliche, ja liebenswerte Person sein müsste, ihrer angestrebten, im Grunde immanenten Identität folgend, aber nur Unheil, Bedrohung, Unrecht, Isolation und Zwietracht unter die Bewohner der Parallelwelt bringt.

Die Bettnässer, mit denen man eigentlich Mitleid haben möchte, verhalten sich keineswegs zurückhaltend, scheu und nervös, nein, sie zerren und trennen, sie sperren und flennen, sie zehren und trotzen, sie wehren und motzen, sie haken und stören, sie makeln und röhren.

Nur dem Rasta, der mir breit grinsend entgegen schlurft und meine Hand nimmt, um mich in dieser Welt umherzuführen, scheint es hier ziemlich gut zu gehen: Er hat sich dermaßen die Birne weggekifft, dass er nicht mehr weiß, wer oder was er in der realen Welt einmal war.