Mittwoch, 16. Mai 2007

Weder Hund noch Schwein – der Feind der Federn

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Es ist was faul im Staate. Die Edelfedern haben bereits zu lange geschwiegen. Gelegentlich erwacht ihr Geist zum Leben, wenn sich zäher Gedankenbrei, durch edles Gebräu aus steinernen Krügen beflügelt, in spritzige Ideen verwandelt, die großspurig, mitunter prahlerisch in den Ring geworfen werden. In diesen Momenten voller Begeisterung und Hingabe leuchten die Federn. Und doch bleibt das Papier weiß. So weiß, dass es droht seine stille Kraft zu verlieren.


Die Schuld an diesem Ungemach bei anderen zu suchen entspräche nicht dem Selbstverständnis der Edelfedern. Gewiss, schon den inneren Schweinehund zu überwinden kostet Kraft. Doch der wahre Saboteur hat mächtigere Pendel. Ist nicht jede schriftliche Spitze, ungeschliffen und scharf, ein kleiner Klaps in ebendiese? Ich denke, da sind wir d'accord.


Federmichl


Mittwoch, 28. März 2007

Mensch sein war gestern – Idee einer Gattungscamouflage

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So, ihr müden Federn! Das grenzt hier ja an ein Geisterhaus!! Damit mal wieder etwas Leben in diese triste Stube kommt, gebe ich den neuerlichen Auftakt für edle Ergüsse. Hatte den Text schon ne ganze Weile in der Pipeline und denke, dass es jetzt an der Zeit ist, wieder tätig zu werden! Überwindet euch, ihr Geschundenen des Prekariats und lasset eure Geisteskraft nicht unterjochen vom Dikat der ausbeuterischen Medienhäuser! Die edle Feder stirbt zuletzt.


Dazugehören zu wollen, ist menschlich. Orientierungspunkte geben Halt, ein Netz, Identifikation. Rudeltier Mensch. Vermeintlich Gleiches sammelt sich, man ist nicht allein. Stört die Zugehörigkeit, so gibt es oft ein letztes Mittel, der einstmaligen Verbrüderung zu entkommen: Den Austritt.

Doch was passiert, wenn man sich fragt, ob die eigene Spezies überhaupt geeignet ist, angemessenen Raum für das eigene Selbst zu bieten? Ein Austritt aus der Gattung „Mensch“?

Dass mich gerade ein Mann der Kirche, ein Bischof, auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht hat, ist interessant – beinahe ironisch. Der Herr Bischof sorgte im Rahmen eines Vortrages mit dieser – für ihn rhetorischen Frage – für gehörige Lacher bei seinem Publikum. Auch bei mir, doch hallt der Kern der Frage nach. Was definiert mein Menschsein?

Schaue ich mich um, so sehe ich oftmals: Geistig auf Klingeltöne und Sonnenstudio Degenerierte - Auto, Sex und Essen als göttliche Dreifaltigkeit. Clevere Akademiker, die mit ihrem Wissen hausieren gehen, sich ständig produzieren statt zu reflektieren und in ekelhafter Selbstdarstellung der geistigen Onanie hingeben. Jünger des Geldes - Anzug, Schampus und Rolex verdecken den kritischen Blick auf ihr nacktes Ich. Ignorante „schöne“ Egoisten, die in ihrer Oberflächlichkeit meinen, sie seien auf ewig der Mittelpunkt alles Schaffens, das Ziel aller Blicke - und doch nur einen Wimpernschlag von Alter, Vergessen, Verfall und Asche entfernt sind. Viele mehr, deren weitere Klassifizierung mich nur deprimiert, diverse Verquickungen und Überlagerungen, die mir Übelkeit abnötigende Bastardierungen hervorbringen. All dies eine, meine Gattung?

Sicher, die Zugehörigkeit zu einer Gattung richtet sich nach gewissen physischen Merkmalen, das definiert die Biologie. So war es immer. Doch warum muss hier die biologische Sicht die einzig wahre sein? Die Liebe kann einerseits auch wissenschaftlich definiert werden: Reize führen in menschlichen Organismus zu chemischen Prozessen, die das Herz schneller schlagen lassen, gewisse hormongesteuerte Gefühle produzieren etc. Doch kann man Liebe andererseits vielleicht nicht auch dadurch definieren und erfahren, indem man schlichtweg ein Gedicht liest? So sagte es jedenfalls der Herr Bischof. Sich einer Sache also nicht dogmatisch vom rein wissenschaftlichen Aspekt nähern, sondern auch andere Definitionsmöglichkeiten in Betracht ziehen. Warum also nicht dem Empfinden Vorrang einräumen gegenüber biologischen Klassifizierungen und gattungsgeschichtlicher Einengung?

Gut - warum nicht der Biologie zum Trotz fortan einfach „Gensch“ sein? Eine Art Seitenarm in der Linie des Homo Sapiens. So stellt sich natürlich die Frage, ob man dadurch auch allerlei menschlichen Bestimmungen entschwinden kann. Reglementierungen und Normen, die eben für Menschen gemacht wurden – aber nicht für Genschen. Überall, wo der Mensch angesprochen wird, heißt es nun: „Tut mir leid, nicht für mich. Ich bin voll und ganz Gensch.“ Ist menschenunwürdig auch gleich genschenunwürdig – wohl nicht. Konflikte entstehen. Die menschliche Würde ist laut Artikel 1 Grundgesetz unantastbar. Doch nicht die des Genschen, man wäre vogel- und verfassungsfrei. Homo homini lupus est: Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf – das wussten bereits die alten Römer. Doch was gilt für Genschen? Der Gensch ist dem Gensch ein Wolff? Kompliziert. Unzählige Beispiele ließen sich fortsetzen. Man müsste wohl der gesamten Gesellschaft den Rücken kehren, ein Eremitendasein führen und sich abgeschieden seines genschlichen Lebens erfreuen.

Das will ich aber auch nicht.

So bleibe ich des Friedens Willen eben nach außen weiterhin Mensch, doch innerlich habe ich die Wende zum Gensch vollzogen – Gattungscamouflage.

In meinem Innern könnte ich ungestört versuchen, mich als Gensch fortzuentwickeln, mich noch deutlicher von den Menschen abzusondern. Noch genschlicher werden, ein Genscher… Aber den gibt es ja schon. Alles Gute zum Achtzigsten, Genschman – wir verstehen uns.


Kloppo der Gefiederte

Donnerstag, 18. Januar 2007

Das Unwort des Monats Januar

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Das Edelfeder-Unwort des Monats Januar:


Personenversenkungsklappe


Ob im Theater oder auf der Bühne des wahren Lebens, wo selbige, wie im Irak, zur Durchführung von Hinrichtungen, die eine nicht enden wollende Tragödie in der Geschichte der Menschheit sind, eingesetzt werden – Personenversenkungsklappen sind keine humanitäre Katastrophe, sie sind inhuman.


Federmichl


Montag, 15. Januar 2007

Heute gestehe ich: Ich bin ein Monster!

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Natürlich bin ich, um dieses Missverständnis ein für alle Mal aus der Welt zu räumen, keiner dieser haarigen, glibberigen und furchterregenden Ungetüme, die im heimischen TV-Programm im Einsatz in vier Wänden sind oder in komödiantischen Rateshows penetrant nervend und mit keifender Stimme ständig ihr pseudogenialdanebenes Wissen zum Besten geben müssen und auch keiner dieser hirnlosen und hirnfressenden Gestalten, die ihr Dasein in widerwärtigen Killerspielen fristen und schon gar nicht irgendwelche Internetportale, die vollmündig Jobs bei Brause GmbH & Co. KG versprechen, sondern eher ein sprachliches Ungetüm, dass sich mit Vorliebe immer wieder in die Texte ahnungsloser Journalisten schleicht, wo es unbemerkt sein Unheil anrichtet, was sich in Form von schlechter Lesbarkeit und hin und wieder in schlechten Noten hoch motivierter Journalismusstudenten bemerkbar macht und selbst Edelfedern, deren geschriebenes Wort als reinstes und stilvollstes Mittel der menschlichen Ausdrucksform gilt, sind nicht vor mir, dessen Erscheinen häufig nicht mehr nachvollziehen lässt, wie vorher und nachher zusammenhängen und was den Nikolaus von einem Nikolaus, der Blicke leuchtender Kinderaugen auf nach Lebkuchen duftenden Märkten auf sich zieht, unterscheidet, gefeit.


Häuptling Federleser


Montag, 8. Januar 2007

"Brause ist ein Schwätzer"

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Das Edelfeder-Selbstgespräch


Graph Feder, Mitbegründer der Edelfedern, in einem Autointerview über seine publizistische Pause, die Belanglosigkeit in den westlichen Gesellschaften und das Zerwürfnis der Edelfedern mit dem Universalgelehrten Wilhelm „Wodka“ Brause.


Graph Feder, leben Totgesagte eigentlich länger?


Feder: Sie wollen doch nicht etwa auf meine publizistische Pause anspielen? Dann bitte nicht in dieser abgedroschenen Art und Weise.


Man sagt Ihnen ja in bestimmten Dingen eine gewisse Langsamkeit nach. Immerhin haben es Kloppo der Gefiederte und Federmichl in den vergangenen zwei Wochen geschafft, Beiträge zu verfassen. Leiden Sie unter einer Schreibblockade?


Feder: Nun, den ersten Satz werde ich an dieser Stelle sicher nicht kommentieren. Was meine Kollegen angeht, die übrigens hervorragende Beiträge geleistet haben, so dürfen Sie zwei Dinge nicht vergessen: Erstens hat Kloppo der Gefiederte wochenlang keine Möglichkeit gehabt, seine geistigen Ideen zu Papier zu bringen – die Gründe sind ja hinlänglich bekannt – und strotzte förmlich vor Tatendrang...


...und Zweitens...


Feder: ...hat sich Federmichl in den Ferien von völliger Ruhe und Einsamkeit der Schweizer Berge inspirieren lassen und seinen Kopf von allen Blindplatten befreit.


Was noch immer nicht ihre Nachlässigkeit erklärt.


Feder: Fällt Ihnen etwas auf, wenn Sie sich hier umschauen?


Sie wollen doch nur ablenken. Bitte beantworten Sie jetzt meine Frage.


Feder: Jetzt hören Sie schon auf mit dem gestelzten Firlefanz, den Sie in irgendeinem Hörsaal aufgeschnappt haben. Also: Fällt Ihnen etwas auf, wenn Sie sich hier umschauen?


Nun, es sieht sehr aufgeräumt aus in Ihrem Arbeitszimmer. Keine Papiere auf dem Schreibtisch, keine aufgeschlagenen Bücher und man wäre fast geneigt, vom Boden zu essen. In Anlehnung an Ihren ersten Beitrag schließe ich, dass Sie in den zwei Wochen ihre Dokumente geordnet haben.


Feder: Das steht hier nicht zur Debatte. Was haben Sie denn in den zwei Wochen gemacht?


Ich bereite mich derzeit auf einen Artikel vor, in dem ich mich mit der Belanglosigkeit in den westlichen Gesellschaften auseinandersetze.


Feder: Können Sie mehr darüber erzählen?


Anknüpfen möchte ich dabei an den Beitrag von Kloppe dem Gefiederten, der mit dem Versuch einer Gesellschaftskritik das Themenspektrum der Edelfedern zu erweitern gedachte. Die Menschen in der heutigen Gesellschaft haben keinen Idealismus mehr, nichts, wofür sie kämpfen. Stattdessen stecken sie ihre Energie lieber in Diskussionen im Studiverzeichnis, sie schauen lieber sinnlose Videos bei YouTube an und gehen beispielsweise auch nicht zu Demonstrationen gegen Studiengebühren. Sehen Sie das ähnlich?


Feder: Die Jugend von heute hat statt Religion nur noch Sex und Handytarife im Sinn. Politische Diskussionen und spannende Debatten gibt es leider viel zu selten.


So wie die leicht polemische Auseinandersetzung mit dem Universalgelehrten Wilhelm Brause. Hat Brause Ihrer Meinung nach noch Ideale?


Feder: Brause ist ein Schwätzer, der seine Emotionen nicht immer unter Kontrolle hat. Schön und gut, Brause sitzt in einflussreichen Positionen, aber genau dieser Plural (Positionen!) ist der Punkt. Wer kann schon die Drohungen von jemandem ernst nehmen, der in einer Woche noch Professor, in der nächsten aber Vorsitzender des Flachdachverbandes ist. Wo ist da bitte der Idealismus.


Sie glauben also nicht, dass Brause dem Ruf auf den Lehrstuhl für PR in Mainz folgen wird?


Feder: Ganz im Gegenteil: Brause wird sicherlich die Professur annehmen, aber danach verschwinden, um Tage später als Kolumnenschreiber des Kölner Stadt-Anzeigers oder als Kassenwart des Taubenzüchtervereins wieder aufzutauchen. Nur eines ist sicher: Für die Edelfedern schreiben wird er nicht.


Graph Feder, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



Graph Feder
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Samstag, 6. Januar 2007

„Man nannte mich Wodka-Brause“

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Das Edelfeder-Gespräch

Wilhelm Brause, fiktiver Universalgelehrter und Tollpatsch vom Dienst, über sein Leben als Lückenbüßer, Eckenbrüller, und die Schwierigkeit, zu sich selbst zu finden.

Edelfedern: Herr Brause, warum haben Sie sich eigentlich noch nicht umgebracht?

Brause: Es stimmt, ich stand kurz davor, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Immer, wenn ein irgendwo nach einem Schuldigen gesucht wurde und eine Sekunde Ruhe herrschte, konnte ich sicher sein, dass in der nächsten mein Name fallen würde. Wer hat’s verbockt? Na klar, der Brause. Auf Dauer hält das kein Mensch aus. Man steht unter unwahrscheinlichem Druck. Da wäre sogar der Kohl geplatzt.

Edelfedern: Es heißt, sie versuchten diesen Druck mit Alkohol und Drogen zu kompensieren.

Brause: Das ist ein trauriges Kapitel. Wer von allen Seiten als Flasche hingestellt wird, greift auch schnell zur selbigen. Mein Spitzname in der Szene war Wodka-Brause. Unter Alkoholeinfluss fühlte ich mich stark, ich rief meine Widersacher an, wollte sie zur Rede stellen, doch die meisten haben aufgelegt, sobald ich meinen Namen nannte. Wie würden Sie sich da fühlen?

Edelfedern: Das steht hier nicht zur Debatte.

Brause: Und ob das zur Debatte steht! Ständig werde ich mit meinen Problemen alleine gelassen, statt Verständnis schenkt man mir nur ein müdes Lächeln. Wenn überhaupt. Man weicht mir aus! Ich mag in aller Munde sein, doch im wahren Leben stehe ich alleine da.

Edelfedern: Wie erklären Sie sich, dass Ihr Name zum Lückenbüßer wurde?

Brause: Nun, das bedarf einer gründlichen Analyse. Ich habe mich eingehend mit dieser Frage beschäftigt, den Namen etymologisch untersucht und Literatur gewälzt. Wie schrieb schon Friedrich Schiller in seiner Ballade „Der Taucher“? „Und hohler und hohler hört man’s heulen,... Und es wallet und siedet und brauset und zischt”…

Edelfedern: Wie bitte…?

Brause: …Gut, es wird viel banaler sein. Brause ist einfach ein putziger Name, das „B“ steht sehr weit vorne im Alphabet. Wahrscheinlich stand mal irgendein lustiger Zeitgenosse unter der Dusche, die Brause in der Hand, den warmen Schwall auf den Körper gerichtet. Daran muss er sich bei seinem nächsten Vortrag erinnert haben, und als sein Redeschwall stockte, purzelte mein Name heraus.

Edelfedern: Sie klingen verbittert. Das Schicksal hat Ihnen eine gewisse Prominenz beschert, daraus muss sich doch mehr machen lassen, als sich in Zynismus zu flüchten.

Brause: Sehen Sie, ich brauche noch etwas Zeit. Natürlich ist ein schlechtes Image besser als gar keines, ich werde immerhin öffentlich wahrgenommen. Mir geht aber noch die Souveränität ab. Wenn mir einer blöd kommt reagiere ich schnell aufbrausend. Damit spiele ich den Spöttern natürlich in die Karten. Aber ich lerne auch aus meinen Fehlern.

Edelfedern: Für einen Mann, der sich noch vor kurzem mit Suizidgedanken trug, wirken sie erstaunlich gefestigt. Was darf man von Ihnen in Zukunft erwarten?

Brause: Ich habe gelernt, wie die Medien funktionieren. Ich habe es schmerzhaft erfahren, am eigenen Leib. Diese Erfahrung nimmt mir keiner, ebenso wie die Wut auf das Mediensystem. Es sind doch Leute wie Sie, die sich auf Einzelschicksale stürzen und Peinlichkeiten mit Genuss breittreten…

Edelfedern: …mit Verlaub, wir sind Edelfedern…

Brause:…daher habe ich beschlossen, mich als PR-Berater selbstständig zu machen. Je schwärzer, desto besser. Ich werde Ihnen einen Bären nach dem anderen aufbinden. Ekelfedern, jawohl, das sind Sie. Während Sie sich auf Ihren Lorbeeren ausruhen…

Edelfedern: Man ruht sich nicht auf Beeren aus.

Brause: …werde ich das System infiltrieren. Bei jeder Zeile, die Sie tippen werden, werden Sie sich in Zukunft fragen müssen, ob nicht der Brause dahintersteckt. Das können Sie ruhig als Drohung auffassen, meine Herren Ekelfedern.

Edelfedern: An der Universität Mainz wird ein PR-Studiengang eingerichtet werden. Ihr Name wird immer wieder mit dem Lehrstuhl in Zusammenhang gebracht.

Brause: Das ist eine Option. So könnte ich die Wirkung meiner Arbeit potenzieren und meine Saat über das ganze Land verteilen. Ich möchte gerne noch einmal das Bild der Duschbrause bemühen. Ich werde der Kopf sein. Und sie, meine Herren Ekelfedern, die begossenen Pudel.

Edelfedern: Herr Krause, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Dienstag, 26. Dezember 2006

Der menschliche Ekel – Versuch einer Gesellschaftskritik

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An einem kalten Dezemberabend fliehe ich. Ich fliehe vor der weihnachtlichen Fratze der Mainzer Innenstadt. Doch ich bin in der Hölle gelandet: Dem Weihnachtsmarkt, der schon Markt war als Ralf noch Peterhanwar.

Da sind die Kinder. Feist, mit glänzenden Augen, tropfenden Nasen und in dicke Jacken verpackt starren sie mich an. Mit ihren gefüllten Backen, in ihrer dümmlich-verklärten Mimik ähneln sie Hamstern, deren Lebensinhalt es ist, gefüttert zu werden und im Käfigrad ihre Runden zu drehen. Der Käfig ist der Markt, ist die Gesellschaft; die weihnachtlichen Rituale, die stete Wiederholung, die demonstrative Glücklichkeit, das Streben nach Anerkennung sind das Rad. Das Rad des Lebens.

Da ist die Jugend. In kollektivem Glühweinrausch rühmt sie sich, regelmäßig alkoholischen Genüssen zu frönen, verkündet laut grunzend primitive Gossenprosa und hofft dabei, beim jeweils anderen Geschlecht zu punkten. Deutschlands Zukunft ertränkt sich in warmem, zimt- und nelkengeschwängertem Rebensaft auf der Suche nach ihrer Identität in einer Welt des Konsums, des Vergleichs, der Einsamkeit unter Menschen, der Hoffnung, immer einen Euro mehr in der Tasche zu haben als die vermeintlichen Freunde. Annäherung, Verbrüderung finden statt – auf niedrigem Niveau, man ist noch jung.

Da sind die Erwachsenen. Sie haben bereits kapituliert – bewusst oder nicht. Weihnachtszeit heißt für sie glücklich zu scheinen, heißt der Aufnahme von Essen und Getränk stets freudig Vorrang zu gewähren, sich von innen wärmen, wenn es draußen kalt ist, am Jahresende vor anderen das Resümee zu ziehen, dass es einem eigentlich schon ganz gut gehe, man recht erfolgreich sei und doch eigentlich alles richtig gemacht habe. „Ganz“, „recht“, „eigentlich“ - innen sieht es oft anders aus, doch wer will diese Tür noch aufsperren? Es gilt, den Freunden, Kollegen, Ehepartnern zu demonstrieren, dass es sich lohnt, zusammen zu sein, man ist es wert, man hat Geld und Geist, man ist besonders.

Ich schaue links: Würste schieben sich unter breite Oberlippenbärte, der Senf quillt hervor; ich schaue rechts: Glühwein wird gierig in lippenstiftumrandete Münder geschüttet, eine paar Schlücke gehen daneben, „uups ich bin ja schon beschwipst“; ich schaue nach vorne als ein junges Mädchen mit langem blonden Haar damit prahlt, erst gestern wieder total voll gewesen zu sein – mit Bier, heute ist es glühender Wein; ich schaue nach hinten und sehe ungeheure Menschenmassen, die sich durch schmale Gassen drängen, um dem Konsum Anheim zu fallen – die Bereitschaft ist uneingeschränkt, es ist Weihnachtszeit.

Da bin ich. Trotz all des Ekels, der mich überfällt, merke ich, dass ich ein Teil dieser Masse bin. Ich versuche mich zu sträuben, zu erkennen, zu analysieren, mich zu entziehen. Und doch schaffen es manche Gerüche, das Wasser in meinem Munde zum fließen zu bringen.

Ich bin ein Tier, ich bin ein Mensch.

Ich bleibe hart, jetzt schnell gehen: Ich treffe Freunde. Na, wie geht’s? Ja, doch recht gut. Kann eigentlich nicht klagen. Na, trinken wir zusammen nen Glühwein? Ach, nun ja…ok. Noch einen? Äääh, ja. Den Würsten dieser weihnachtlichen Welt kann ich mich dann trotzdem widersetzen, ich will noch in den Spiegel schauen können, ich habe Prinzipien, ich bin kein Herdentier, -mensch. Auf dem Heimweg kommen die Dönerbuden: Ich kehre ein, verabscheue mich selbst und beiße zu.

Frohe Weihnachten.


Kloppo der Gefiederte